Soros: Radikale Neuordnung der Weltwirtschaft

Soros: Radikale Neuordnung der Weltwirtschaft

am 23.01.2008 17:58:33 von Holger Senff

Financial Times Deutschland



Gastkommentar

George Soros: Kreative Zerstörung

Die Finanzkrise wird zu einer radikalen Neuordnung der globalen Wirtschaft
führen. Eine Rezession in den Industrienationen ist unvermeidbar - das
birgt auch die Gefahr politischer Spannungen.

Die aktuelle Finanzkrise, deren Auswirkungen in diesen Tagen die Börsen
weltweit durchschütteln, hat ihren Ausgangspunkt in der Blase auf dem
US-Häusermarkt. In gewisser Weise ähnelt sie damit anderen Krisen, die
seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Intervallen von vier bis zehn Jahren
aufgetreten sind. Allerdings besteht ein zentraler Unterschied: Die
aktuellen Turbulenzen besiegeln eine Ära der Ausweitung der Kreditvergabe,
die auf dem Dollar als internationaler Reservewährung basiert. Die
periodisch auftretenden Krisen waren Teil eines größeren Konjunkturzyklus.
Die aktuelle Situation ist der Höhepunkt eines Superbooms, der mehr als 60
Jahre lang angehalten hat.

Wann immer es mit der Kreditausweitung Probleme gab, haben die
Zentralbanken und der Staat eingegriffen. Sie haben Liquidität ins System
gepumpt und andere Wege gefunden, um die Wirtschaft zu beleben. Dadurch
wurde ein System der asymmetrischen Anreize geschaffen - auch bekannt als
Moral Hazard -, das zu einer noch stärkeren Kreditausweitung ermutigt hat.

Das System war so erfolgreich, dass die Menschen allmählich an das
glaubten, was der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan als "Zauberei
des Marktes" bezeichnete und was ich Marktfundamentalismus nenne.

Superboom außer Kontrolle

Fundamentalisten glauben, dass der Markt zu einem Gleichgewicht tendiert.
Danach ist dem allgemeinen Interesse am besten gedient, wenn die Teilnehmer
ihr Eigeninteresse verfolgen können. Dies ist jedoch ein offensichtlicher
Fehlschluss, denn der Kollaps der Finanzmärkte wurde durch die Intervention
der Zentralbanken verhindert, nicht durch die Märkte selbst. Dennoch hat
sich der Marktfundamentalismus in den 80er-Jahren als vorherrschende
Ideologie durchgesetzt. Damals setzte die Globalisierung der Märkte ein,
und die USA begannen mit der Anhäufung ihres Leistungsbilanzdefizits.


Dank der Globalisierung konnten die USA die Ersparnisse der restlichen Welt
aufsaugen und mehr konsumieren, als sie herstellten. 2006 erreichte das
Leistungsbilanzdefizit der USA 6,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die
Finanzmärkte ermutigten die Verbraucher, Geld aufzunehmen, indem sie immer
ausgeklügeltere Finanzinstrumente auf den Markt brachten und immer
großzügigere Konditionen gewährten. Die Behörden unterstützten diesen
Prozess, indem sie immer dann eingriffen, wenn das globale Finanzsystem in
Gefahr war. Seit 1980 wurden die regulatorischen Bestimmungen schrittweise
gelockert, bis sie praktisch völlig verschwanden.

Der Superboom geriet außer Kontrolle, als die neuen Produkte so komplex
wurden, dass die Aufsichtsgremien die Risiken nicht mehr kalkulieren
konnten und sich stattdessen auf das Risikomanagement der Banken verließen.
Die Ratingagenturen wiederum stützten sich auf die Informationen, die sie
von den Urhebern der synthetischen Produkte erhielten. Es ist schockierend,
wie hier Verantwortung abgeschoben wurde.

Alles ging schief

Die Folge ist, dass jetzt in der schlimmsten Finanzkrise der Nachkriegszeit
alles schiefging, was nur schiefgehen konnte. Die Welle startete bei den
Subprime-Hypotheken, ging auf strukturierte Produkte wie Collateralized
Debt Obligations über, brachte Kommunal- und Hypothekenversicherer sowie
Rückversicherer in die Bredouille und drohte den Tausende Milliarden Dollar
schweren Markt für Credit Default Swaps zu zerstören. Die Engagements der
Investmentbanken bei fremdfinanzierten Übernahmen wurden zur Belastung.

Marktneutrale Hedge-Fonds erwiesen sich als nicht marktneutral und mussten
aufgelöst werden. Der Markt für kurzlaufende Asset-backed Commercial Papers
kam zum Erliegen, und die außerbilanziellen Zweckgesellschaften, mit denen
Banken Hypotheken aus ihren Bilanzen verschoben, erhielten keine Zuflüsse
von außen mehr. Schließlich kam die Kreditvergabe der Banken untereinander
zum Erliegen, weil die Banken mit ihren Ressourcen haushalten mussten und
den anderen Banken nicht mehr trauen konnten. Die Zentralbanken mussten so
viel Geld zuschießen wie noch nie und haben mehr Banken unter die Arme
gegriffen als je zuvor.

Der Kreditausweitung muss nun eine Verkleinerung des Kreditvolumens folgen,
weil einige der neuen Kreditinstrumente und -praktiken instabil sind.
Zentralbanken und Staat können die Wirtschaft nur begrenzt stimulieren, da
der Rest der Welt nicht bereit ist, zusätzliche Dollar-Reserven anzuhäufen.

Bis vor Kurzem hofften die Anleger noch, dass die US-Notenbank wie früher
alles Notwendige tun würde, um eine Rezession abzuwenden. Mittlerweile
müssen sie erkennen, dass die Fed dazu womöglich nicht mehr imstande ist.
Die Preise für Öl, Lebensmittel und andere Rohstoffe sind stabil, der
Renminbi wertet etwas schneller auf, also muss sich die Fed auch Sorgen um
die Inflation machen. Sänke der Leitzins unter einen bestimmten Punkt,
geriete der Dollar erneut unter Druck, und die Renditen der langfristigen
Anleihen würden sogar steigen. Es ist unmöglich zu sagen, wo dieser Punkt
liegt - ist er aber einmal erreicht, hat die Fed keinen Spielraum mehr.

Eine Rezession in den Industrienationen ist mittlerweile ziemlich
unvermeidbar, aber China, Indien und einige Öl produzierende Länder
befinden sich in einem sehr starken Gegentrend. Die Finanzkrise dürfte
deshalb weniger eine globale Rezession auslösen als zu einer radikalen
Neuordnung der Weltwirtschaft führen. Die USA werden relativ an Macht
verlieren, China und andere Entwicklungsländer hinzugewinnen. Dabei besteht
jedoch die Gefahr, dass die daraus resultierenden politischen Spannungen
die globale Wirtschaft stören und die Welt doch in eine Rezession stürzen
könnten.

George Soros ist Chairman von Soros Fund Management.