Verwaltungsakt ersetzt Willenserklaerung - staatl. Entmuendigung?

Verwaltungsakt ersetzt Willenserklaerung - staatl. Entmuendigung?

am 19.02.2006 11:06:06 von Thomas Homilius

Gemäß § 894 ZPO kann ein Gläubiger MIT HILFE DES GERICHTS den Schuldner zu
einer Willenserklärung verurteilen lassen. Eine Verurteilung zur Eingehung
einer Ehe ist aber gesetzlich ausgeschlossen (§ 894 Abs. 2 ZPO). Das
Gerichtsurteil ersetzt die Willenserklärung eines Schuldners. Der
zivilrechtliche Schuldner wird kraft eines zivilrechtlichen Urteils
"entmündigt", der Gläubiger übernimmt die Abgabe der Willenserklärung
gegenüber Dritten.

Praktisches Beispiel für derartige willenserklärungsersetzende Urteile sind:
- Abtretungserklärung
- grundbuchmäßige Erklärungen, wie Eintragung, Löschung, Auflassung (wenn
der Schuldner Grundstückseigentümer ist)
- Antrag des Schuldners bei einer Behörde (z.B. Finanzamt)
- Zustimmung des Ehegatten zum steuerlichen Realsplitting

Das Problem: Ist eine solche Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung auch
durch bloßen VERWALTUNGSAKT (anstatt eines Gerichtsurteils) möglich? Kann
eine Behörde durch einen Verwaltungsakt einem Schuldner ihren Willen
aufzwingen? Wäre ein solches Gesetz nicht grundgesetzwidrig (Fehlen einer
gerichtlichen Kontrolle)?

Antwort: Dies scheint in einigen Bundesländern zu gehen. Auf dieses Problem
bin ich durch die Lektüre Verwaltungsvollstreckungsrecht von App/Wettlaufer
gestoßen:
»Die Verwaltungsvollstreckungsgesetze enthalten keine Generalklauseln,
sondern zählen die möglichen Maßnahmen einzeln auf. Solche sind:
k) Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung nach dem Vorbild von § 894
ZPO, die einige Ländergesetze vorsehen (z.B. § 24a SächsVwVG); das
Bundesrecht kennt diese praktische Möglichkeit nicht.«
(Quelle: App, M./Wettlaufer, A., Verwaltungsvollstreckungsrecht, 4. Auflage,
Köln/Berlin/München 2005, S. 22 § 4 Rdn. 17.)
ISBN 3-452-25769-X <>

Verwaltungsvollstreckungsgesetz für den Freistaat Sachsen (SächsVwVG):
§ 24a SächsVwVG: Fiktion der Abgabe einer Erklärung
(1) Ist jemand durch einen Verwaltungsakt verpflichtet, eine bestimmte
Erklärung abzugeben, so gilt die Erklärung als abgegeben, sobald der
Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. Voraussetzung ist, dass
1. der Inhalt der Erklärung in dem Verwaltungsakt festgelegt worden ist,
2. der Vollstreckungsschuldner in dem Verwaltungsakt auf die Bestimmung des
Satzes 1 hingewiesen worden ist und
3. er im Zeitpunkt des Eintritts der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes
die Erklärung rechtswirksam abgegeben kann.
(2) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, teilt den Beteiligten
mit, in welchem Zeitpunkt der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. Sie
ist berechtigt, die zur Wirksamkeit der Erklärung erforderlichen
Genehmigungen und Zustimmungen einzuholen und Anträge auf Eintragung in
öffentliche Bücher und Register zu stellen. Bedarf die Behörde dazu einer
Urkunde, in dem Betroffenen auf Antrag von einer anderen Behörde oder einem
Notar zu erteilen ist, so kann sie die Erteilung anstelle des Betroffenen
verlangen.


Nun sind Finanzämter Behörden der Länder. Kann das Finanzamt einen
derartigen Verwaltungsakt (nach § 24a SächsVwVG) erlassen? Ist es möglich,
dass eine Gemeinde bei der Vollstreckung von Gewerbesteuern, einen
derartigen Verwaltungsakt gegen den Steuerschuldner erlässt? Sind derartige
Verwaltungsakte ohne richterliche Kontrolle übrhaupt vom Grundgesetz
gedeckt?

Könnt unter Umständen ein Verwaltungsakt zur Eingehung einer Ehe
("Zwangsehe" per Verwaltungsakt) bestandskräftig werden, oder ist ein
solcher Verwaltungsakt von Anfang an nichtig?


Thomas Homilius

--
***GPG-Key-ID: 0xE29A0F93***

Re: Verwaltungsakt ersetzt Willenserklaerung - staatl. Entmuendigung?

am 19.02.2006 15:54:12 von Andreas Gumtow

"Thomas Homilius" <>
schrieb im Newsbeitrag news:
> Gemäß § 894 ZPO kann ein Gläubiger MIT HILFE DES GERICHTS den Schuldner zu
> einer Willenserklärung verurteilen lassen. Eine Verurteilung zur Eingehung
> einer Ehe ist aber gesetzlich ausgeschlossen (§ 894 Abs. 2 ZPO). Das
> Gerichtsurteil ersetzt die Willenserklärung eines Schuldners. Der
> zivilrechtliche Schuldner wird kraft eines zivilrechtlichen Urteils
> "entmündigt", der Gläubiger übernimmt die Abgabe der Willenserklärung
> gegenüber Dritten.
>
> Praktisches Beispiel für derartige willenserklärungsersetzende Urteile
sind:
> - Abtretungserklärung
> - grundbuchmäßige Erklärungen, wie Eintragung, Löschung, Auflassung (wenn
> der Schuldner Grundstückseigentümer ist)
> - Antrag des Schuldners bei einer Behörde (z.B. Finanzamt)
> - Zustimmung des Ehegatten zum steuerlichen Realsplitting
>
> Das Problem: Ist eine solche Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung
auch
> durch bloßen VERWALTUNGSAKT (anstatt eines Gerichtsurteils) möglich? Kann
> eine Behörde durch einen Verwaltungsakt einem Schuldner ihren Willen
> aufzwingen? Wäre ein solches Gesetz nicht grundgesetzwidrig (Fehlen einer
> gerichtlichen Kontrolle)?
>
> Antwort: Dies scheint in einigen Bundesländern zu gehen. Auf dieses
Problem
> bin ich durch die Lektüre Verwaltungsvollstreckungsrecht von
App/Wettlaufer
> gestoßen:
> »Die Verwaltungsvollstreckungsgesetze enthalten keine Generalklauseln,
> sondern zählen die möglichen Maßnahmen einzeln auf. Solche sind:
> k) Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung nach dem Vorbild von § 894
> ZPO, die einige Ländergesetze vorsehen (z.B. § 24a SächsVwVG); das
> Bundesrecht kennt diese praktische Möglichkeit nicht.«
> (Quelle: App, M./Wettlaufer, A., Verwaltungsvollstreckungsrecht, 4.
Auflage,
> Köln/Berlin/München 2005, S. 22 § 4 Rdn. 17.)
> ISBN 3-452-25769-X <>
>
> Verwaltungsvollstreckungsgesetz für den Freistaat Sachsen (SächsVwVG):
> § 24a SächsVwVG: Fiktion der Abgabe einer Erklärung
> (1) Ist jemand durch einen Verwaltungsakt verpflichtet, eine bestimmte
> Erklärung abzugeben, so gilt die Erklärung als abgegeben, sobald der
> Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. Voraussetzung ist, dass
> 1. der Inhalt der Erklärung in dem Verwaltungsakt festgelegt worden ist,
> 2. der Vollstreckungsschuldner in dem Verwaltungsakt auf die Bestimmung
des
> Satzes 1 hingewiesen worden ist und
> 3. er im Zeitpunkt des Eintritts der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes
> die Erklärung rechtswirksam abgegeben kann.
> (2) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, teilt den
Beteiligten
> mit, in welchem Zeitpunkt der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist.
Sie
> ist berechtigt, die zur Wirksamkeit der Erklärung erforderlichen
> Genehmigungen und Zustimmungen einzuholen und Anträge auf Eintragung in
> öffentliche Bücher und Register zu stellen. Bedarf die Behörde dazu einer
> Urkunde, in dem Betroffenen auf Antrag von einer anderen Behörde oder
einem
> Notar zu erteilen ist, so kann sie die Erteilung anstelle des Betroffenen
> verlangen.
>
>
> Nun sind Finanzämter Behörden der Länder. Kann das Finanzamt einen
> derartigen Verwaltungsakt (nach § 24a SächsVwVG) erlassen? Ist es möglich,
> dass eine Gemeinde bei der Vollstreckung von Gewerbesteuern, einen
> derartigen Verwaltungsakt gegen den Steuerschuldner erlässt? Sind
derartige
> Verwaltungsakte ohne richterliche Kontrolle übrhaupt vom Grundgesetz
> gedeckt?
>
> Könnt unter Umständen ein Verwaltungsakt zur Eingehung einer Ehe
> ("Zwangsehe" per Verwaltungsakt) bestandskräftig werden, oder ist ein
> solcher Verwaltungsakt von Anfang an nichtig?
>

Der Denkfehler liegt hier in der Annahme, die Willenserklärung werde
unkontrolliert durch einen Verwaltungsakt ersetzt. Hier geht es jedoch um
etwas anderes:

Jemand wird per Verwaltungsakt zur Vornahme einer Handlung oder Abgabe einer
Willenserklärung verpflichtet. Hiergegen ist der Widerspruch und im Anschluß
ggf. die Klage vor dem zuständigen Gericht, unter Umständen in mehreren
Instanzen oder sogar bei ausreichender Bedeutung bis zum EuGH, gegeben.
Sollte der Betroffene nun auch in der letzten Instanz verlieren wird der
Verwaltungsakt in Gestalt des Urteils rechtskräftig. Und es kann ja nun
nicht sein, daß die Behörde dann ein Urteil hat aber der Betroffene z.B.
einfach die Abgabe der Willenserklärung zu der er verpflichtet wurde
verweigert. In solchen Fällen wird daher der Verwaltungsakt in Gestalt des
Urteils zum Instrument, das es der Behörde ermöglicht die Willenserklärung
des Betroffenen zu ersetzen.

Beispiel:

Ein Durchleitungsrecht soll ins Grundbuch eingetragen werden. Dieses sei
rechtlich einwandfrei zustande gekommen und auch in der Sache berechtigt.
Der Grundstückseigentümer möge sogar durch alle Instanzen geklagt und
verloren haben. Nun wäre es sehr bedenklich, wenn er die Eintragung
verhindern könnte, indem er sie nicht beantragt. Daher wird die Berechtigung
zur Abgabe der Erklärung durch Verwaltungsakt auf die Behörde übertragen.

Re: Verwaltungsakt ersetzt Willenserklaerung - staatl. Entmuendigung?

am 19.02.2006 19:27:53 von Wolfgang Fieg

"Thomas Homilius" <>
schrieb im Newsbeitrag news:
> Gemäß § 894 ZPO kann ein Gläubiger MIT HILFE DES GERICHTS den Schuldner zu
> einer Willenserklärung verurteilen lassen. Eine Verurteilung zur Eingehung
> einer Ehe ist aber gesetzlich ausgeschlossen (§ 894 Abs. 2 ZPO). Das
> Gerichtsurteil ersetzt die Willenserklärung eines Schuldners. Der
> zivilrechtliche Schuldner wird kraft eines zivilrechtlichen Urteils
> "entmündigt", der Gläubiger übernimmt die Abgabe der Willenserklärung
> gegenüber Dritten.
>
> Praktisches Beispiel für derartige willenserklärungsersetzende Urteile
> sind:
> - Abtretungserklärung
> - grundbuchmäßige Erklärungen, wie Eintragung, Löschung, Auflassung (wenn
> der Schuldner Grundstückseigentümer ist)
> - Antrag des Schuldners bei einer Behörde (z.B. Finanzamt)
> - Zustimmung des Ehegatten zum steuerlichen Realsplitting
>
> Das Problem: Ist eine solche Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung
> auch
> durch bloßen VERWALTUNGSAKT (anstatt eines Gerichtsurteils) möglich? Kann
> eine Behörde durch einen Verwaltungsakt einem Schuldner ihren Willen
> aufzwingen?

Nein, das ist verboten. Der Staat darf niemandem (s)einen Willen aufzwingen.
Die "geistige Integrität" der Person ist als Teil der Menschenwürde
unantastbar. Niemand darf gezwungen werden, etwas zu wollen, was er nicht
will, wohl aber, etwas zu tun, was er nicht will. Ebenso kann das Gesetz -
wie von Dir beschrieben - die Abgabe einer Willenserklärung fingieren ("...
gilt die Erklärung als abgegeben ..."). Das ist sogar im Vergleich zu
mittelbarem oder unmittelbarem Zwang das mildere Mittel.

> Wäre ein solches Gesetz nicht grundgesetzwidrig (Fehlen einer
> gerichtlichen Kontrolle)?

An der fehlt es ja gerade nicht, denn ein Verwaltungsakt unterliegt stets
richterlicher Kontrolle - siehe Art. 19 Abs. 4 GG.

Wolfgang

Re: Verwaltungsakt ersetzt Willenserklaerung - staatl. Entmuendigung?

am 19.02.2006 21:22:27 von Michael Liedtke

Thomas Homilius schrieb am Sun, 19 Feb 2006

>Das Problem: Ist eine solche Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung auch
>durch bloßen VERWALTUNGSAKT (anstatt eines Gerichtsurteils) möglich?

Was spräche dagegen?

> Wäre ein solches Gesetz nicht grundgesetzwidrig (Fehlen einer
>gerichtlichen Kontrolle)?

Du weißt, was ein Verwaltungsakt ist? Welche gerichtliche Kontrolle
fehlt Dir bei einem Verwaltungsakt?

Wenn ich das umständliche Verfahren in § 24a SächsVwVG
sehe dann vermute ich sowieso, dass das nicht oft vorkommen
wird :-)