Rezessionen und Baerenmarkte

Rezessionen und Baerenmarkte

am 23.01.2008 19:30:57 von jan perlwitz

Dieses posting verfolgt das Anliegen, angesichts einer doch zu
beobachtenden Hysterie bei einigen etwas Nuechternheit in die Debatte
zu bringen. Auch wenn die Aktienmaerkte 20 bis 50% einbrechen, ist das
kein begruendeter Anlass fuer apokalyptische Untergangsfantasien. Auf
der anderen Seite ist aber auch nicht angebracht, einfach alles durch
die rosarote Brille zu betrachten und zu glauben, dass starke
Rueckschlaege in den Aktienmaerkten unwahrscheinliche Ereignisse
waeren und nach einigen wenigen Wochen ein ewiger Aufschwung
weitergehen wuerde. Gerade fuer Kleininvestoren kann Realitaetssinn
den Unterschied zwischen finanziellem Ueberleben und Totalverlust
ausmachen.

Baerenmaerkte sind regelmaessig auftretende Ereignisse. Die folgenden
statistischen Angaben gelten fuer die US-Maerkte, die Grundaussagen
sind aber vermutlich bei den europaeischen Maerkten keine anderen.
Seit 1950 gab es 16 Ereignisse bei denen der S&P500 mindestens 15% von
seinem vorherigen Maximum zurueckging, sieben davon waren nicht von
einer oekonomischen Rezession begleitet, die anderen waren
rezessionsinduziert. Die mittlere Laenge der nicht-
rezessionsinduzierten Baerenmaerkte betrug 215 Tage, die der
rezessionsinduzierten Rueckgaenge 491 Tage. Der durchschnittliche
Rueckgang des S&P500-Index betrug bei den nicht-rezessionsinduzierten
Baerenmaerkten von Maximum bis nachfolgendem Minimum ca. 24%, mit
einer Schwankungsbreite zwischen ca. 15% und ca. 36%. Der
durchschnittliche Rueckgang bei den rezessionsinduzierten Maerkten
betrug ca. 27%, mit einer Schwankungsbreite von ca. 15% bis ca. 49%.
(Quelle: )

Hier ist noch eine Grafik, in der die Abweichung des monatlichen
Schlusswertes des S&P500 von seinem Drei-Jahres-Maximum dargestellt
ist. Rezessionen sind auch eingezeichnet:



Und hier eine aehnliche Darstellung fuer den Dow Jones, in der auch
die grosse Depression von Anfang der 30er Jahre des vorigen
Jahrhunderts enthalten ist:



(Referenz: )

Auch aus diesen Grafiken ist ersichtlich, dass Rueckgaenge der
Aktienindizes von ihrem jeweiligen vorigen Maximum um 20% relativ
haeufig autreten und auch gerade waehrend Rezessionen Rueckgaenge von
mehr als 30% nicht ungewoehnlich sind. Die grosse Depression sticht
heraus, in der der Rueckgang von Maximum zum Minimum fast 90% betrug.
Ersichtlich ist auch, dass die rezessionsinduzierten Baerenmaerkte im
Allgemeinen nicht bereits am Anfang einer Rezession wieder endeten,
sondern die Rezession mindestens eine Weile andauerte, bevor sich der
Trend in den Aktienmaerkten umkehrte.

Wir befinden uns heute absehbar gerade mal am Anfang einer neuen
Rezession in den USA, die durch die Kreditkrise, welche jetzt bereits
ein paar Monate andauert, getriggert wird. Rezessionen erfuellen die
Funktion, angestaute Disproportionen innerhalb des gesellschaftlichen
Gesamtkapitals aufzuloesen, welches ja aus vielen miteinander
verschlungenen Einzelkapitalen besteht. Rezessionen werden ausgeloest,
wenn diese Disproportionen die Reproduktion der Kapitale ueber einen
bestimmten kritischen Schwellenwert hinaus stoeren und verhindern. Es
besteht eine gute Moeglichkeit, dass die kommende Rezession zu einer
der schwereren nach dem WK II wird, vielleicht sogar die schwerste,
aufgrund der starken Verwerfungen in den disproportional aufgeblaehten
Immoblien- und Kreditmaerkten, deren Aufloesung absehbar zu einem
starken Rueckgang in der Konsumnachfrage in den USA fuehren wird. Eine
solche schwere Rezession duerfte absehbar nicht auf die USA
beschraenkt bleiben, sondern duerfte globale Auswirkungen haben und
vielleicht auch zu einer weltweiten Rezession fuehren, zumal die
Kreditkrise ja auch eine globale Dimension hat und auch in anderen
Laendern vorher ein disproportionaler Boom in den Immobilienmaerkten
stattgefunden hat. Hinzukommt, dass in allen moeglichen Anlageklassen
die Preise in den letzten Jahren stark inflationierten, nicht nur in
den Aktienmaerkten. Gemessen am historischen Standard des Kurs-Gewinn-
Verhaeltnisses (price earning ratio), wenn dieses auf den Profitzyklus
normalisiert wird, waren die Aktienmaerkte im Sommer letzten Jahres
zumindest in den USA stark ueberbewertet.[1] Das trifft sicherlich
nicht nur fuer die USA zu. Im Vergleich zu den historischen Daten
besteht eine gute Moeglichkeit, dass die Preise an den Aktienmaerkten
vom jetzigen Stand waehrend der kommenden Rezession noch weiter
zurueckgehen werden. Der Rueckgang an den US-Aktienmaerkten von ihrem
vorigen Maximum betraegt bis heute gerade mal weniger als 20% und der
an den europaeischen Maerkten ca. 20%. Wie oben bereits erwaehnt,
Rueckgaenge von mehr als 30% waehrend einer Rezession sind nichts
ungewoehnliches, gerade waehrend einer schweren Rezession. Mit hoher
Wahrscheinlichkeit wird der Baerenmarkt auch nicht bereits in einer
Woche oder einem Monat vorbei sein, sondern dieser wird sich ueber
viele Monate hinziehen.

Was geht das alles die an, die nicht in den Aktien- und Finanzmaerkten
spielen? Eine Rezession ist ein Ereignis, von dem die gesamte
Oekonomie betroffen ist, mit mehr oder weniger realen Auswirkungen auf
die wirtschaftlichen Verhaeltnisse aller an der Oekonomie Beteiligten.
Die globale Nachfrage geht zurueck, Absatzmaerkte brechen ein, die
Auslastung der Kapazitaeten in der Industrie geht zurueck, der
Konkurrenzkampf verschaerft sich, mehr Firmen gehen Pleite,
Erwerbslosigkeit steigt signifikant an, Menschen verlieren ihre
Einkommen, die Steuereinnahmen fuer den Staat gehen zurueck,
Staatsausgaben werden zurueckgefahren.

Rezessionen gehen aber vorbei. Die jetzigen Ereignisse sind keine
Einleitung fuer die Apokalypse.

[1] siehe

F'up2: de.soc.wirtschaft